Martin Zang

Das Gehirn

»Denn es ist nicht genug, einen guten Kopf zu haben, die Haupt­sache ist, ihn rich­tig anzu­wen­den.«  René Descartes

Das Gehirn ist ein über­aus ver­än­der­li­ches Organ. Die Wis­sen­schaft spricht in die­sem Zusam­men­hang von der Neuroplastizität des Gehirns. Gemeint ist damit, dass sich die Nerven­zellen und ihrer Ver­bin­dun­gen organisieren nach den Rei­zen der Außen­welt. Das fängt mit der ers­ten Stun­de des Lebens an. Ein Säug­ling beispiels­weise kann noch nicht rich­tig sehen. Erst durch die Ein­wirkung von Hell und Dunkel, von Far­ben und Kon­tras­ten bildet sich das Sehen. Diese Eigen­schaft des Gehirns, gewisser­maßen sich an phy­si­ka­li­sche Erfor­der­nis­se des Lebens anzu­pas­sen, begleitet uns das gan­ze Leben. Wer Kla­vier spielt, kann ein Lied davon sin­gen: spielt man nicht kon­ti­nu­ier­lich, ver­liert man nach und nach die Bril­lanz die­ser wun­der­ba­ren Fer­tig­keit. Und selbst im letz­ten Lebens­abschnitt, wenn im hohen Alter das Gehör nach­lässt und kein Hör­gerät benutzt wird, ver­lie­ren Senio­ren die Fähig­keit, fei­ne Lau­te zu unter­scheiden. Weil das Gehirn in die­sem Bereich kei­ne Rei­ze bekommt, sieht es kei­ne Not­wen­dig­keit, dieses Poten­zi­al auf­recht zu erhal­ten. Es arbei­tet in gewis­ser Wei­se öko­no­misch. Die Neuroplastizität des Gehirns ist also Fluch und Segen zugleich.

Die meis­ten Men­schen den­ken, für jede Erin­ne­rung gibt es einen fes­ten Platz in unse­rem Kopf. Doch das Gehirn funk­tio­niert mitnichten so, wie eine Spei­se­kam­mer, in der alles an sei­nem eige­nen Ort steht. Viel­mehr sind neu­ro­na­le Aktivitäten krea­ti­ve Vorgänge. Jedes Mal, wenn wir uns an etwas erinnern, setzt unser Gehirn alle Ein­zel­tei­le neu zusammen. Man kann grob sagen, Geräu­sche werden woan­ders gespei­chert als Far­ben, Temperatur-Empfin­dungen wie­der­um woan­ders, und dies obwohl sie wirklich alle zu ein und der­sel­ben Erin­ne­rung gehören. Durch dieses Neu­zu­sam­men­set­zen im Vorgang des Erin­nerns schlei­chen sich Feh­ler ein, Ver­än­de­run­gen und Verzerrungen, die wir nicht bemerken. 
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